Dieser Beitrag zeigt eine Auswahl von künstlerischen Positionen der Portraitfotografie seit Beginn der Fotografie bis heute.

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Nadar 1860-65, Sarah Bernhardt (public domain)
Disdéri, Tänzerin, ungeschnittene Carte-de-Visites (public domain)
Lange 1936, Migrant Mother (public domain)

Frühe Berufsfotografen

Obwohl kurze Zeit nach der Bekanntgabe der Fotografie 1839 die Fototechnik noch kaum so weit war, sind in den USA und in Europa zahlreiche Fotoateliers entstanden, die sich auf Portraitfotografie spezialisiert haben. Die Aufnahmen waren eine Tortour. Durch die minutenlangen Belichtungszeiten war die grösste Schwierigkeit, die Bewegungsunschärfe der Portraitierten zu verhindern. Deshalb wurden die Kunden mit komplizierten und unangenehmen Halterungsvorrichtungen fixiert. Die Fotos musste soweit möglich teils auch retuschiert werden, z.B. da die Pupillen wegen der Augenbewegung nicht sichtbar waren. Man führte relativ schnell Requisiten ein und bemalte Hintergründe, um die Ästhetik der Portraitmalerei in der Fotografie fortzuführen. Im Verlauf der ersten Jahre wurde das Problem der Unschärfe bei der Portraitfotografie - durch lichtstärkere Objektive und lichtempfindlichere Substanzen - sukzessive vermindert. Mit der Zeit entwickelten sich nebst der trivialen Portraitfotografie individuelle Positionen von Berufs- und Amateurfotografen.

Franz Hanfstaengl (1804-1877)

Deutscher Maler, Lithograf und Hoffotograf. Hanfstaengl schuf Portraits berühmter Persönlichkeiten (König Ludwig II, Otto von Bismarck...). Die Erfahrung als Maler kommt in den Fotografien stark zur Geltung. Komposition und auch die Accessoires zu den Portraitierten sind sehr präzise gewählt.

Nadar (1820-1910)

Französischer Schriftsteller, Aeronaut und Fotograf. Nadar liess Accessoires und gemalte Hintergründe weg. Er verzichtete auf die Retusche. Seine Porträts inszenieren die Portraitierten mittels dem Licht. Der Blick, die Hände und auch die Silhouetten wurden stark betont. Nadar ging es vor allem, um die Wiedergabe der psychischen Verfassung der Portraitierten. Er fotografierte u.a. Schriftsteller und Künstler (z.B. Charles Baudlaire, Eugène Delacroix) zu denen er auch oft befreundet war. Nadar setzte des Weiteren als erster Blitzlicht ein (Fotos der Katakomben von Paris) und machte die ersten Luftaufnahmen von einem Ballon aus.

Julia Margaret Cameron (1815-1879)

Britische Fotografin. "Ganz und gar" von der präraffaelitischen Malerei beeinflusst fotografierte Cameron berühmte Zeitgenossen (u.a. Charles Darwin). Sie machte allegorische und mythologische Einzelportraits und Gruppeninszenierungen, unter anderem mit verkleideten Familienangehörigen. Entgegen dem Zeitgeschmack und den damaligen Möglichkeiten der Fototechnik arbeitete sie teils bewusst mit Unschärfe im Bild.

André Adolphe-Eugène Disdéri (1819-1889)

Französischer Fotograf. Durch das von Disdéri 1854 patentierte Verfahren, der Herstellung so genannter Carte-de-Visites mit mehrlinsigen Kameras auf Kollodium-Negativen, verhalf er der Portraitfotografie dem definitivem Durchbruch. Acht Aufnahmen von ca. 6 X 9 cm konnten so auf einer einzigen Platte festgehalten werden. Fotografien wurden für fast jeden erschwinglich und zur Massenware. Die professionelle Portraitfotografie erhielt hierduch eine neue Ästhetik, vom Prinzip her vergleichbar mit dem heutigen Wandel durch die digitale Fotografie.

August Sander (1876-1964)

International bekanntester deutscher Fotograf. Sander zählt zur Neuen Sachlichkeit. Seine Portraits bewegen sich zwischen traditioneller Atelier- und Dokumentarfotografie. Der Fotograf versuchte ein grosses, systematisches Werk zum Urtypen des Menschen zu machen, konnte jedoch sein grossen Projekt nie fertig führen. "Sachlich" zeigen die Haltung, der Blick und der Gesichtsausdurck der Portraitierten mehr, als es die Umgebung und Attribute tun.

Dorothea Lange (1895-1965)

US-amerikanische Portraitfotografin und Mitbegründerin der Dokumentarfotografie. Lange arbeitete zuerst selbstständig in ihrem eigenen Portraitstudio und später für die Farm Security Administration (FSA - Unter Roosevelt gegründete Organisation zur Unterstützung von Kleinbauern und der armen Landbevölkerung mit einer Abteilung für die fotografische Dokumentation, wo bekannte Fotografen gearbeitet haben). Ihr berühmtestes Bild "Migrant Mother" löste unter anderem einen Diskurs aus über moralischen Grenzen und Authentizität der Dokumentarfotografie. 

Diane Arbus (1923-1971)

US-amerikanische Fotografin. Arbus schulte Ihr Konzept und Ihr Blick an den Werken August Sanders. Ihr Thema ist das Kranke und Abstossende im täglichen Leben, was schockierte. Sie fotografierte Aussenseiter, Transvestiten, Kleinwüchsige, Homosexuelle, Behinderte aber auch Durchschittsmenschen mit einem gesellschaftskritischen Realismus und ohne die Portraitierten bloss zu stellen. "Ihre Bilder mit den ungewöhnlichen Einstellungen von Licht und Schatten behalten trotz der gestellten Szene eine gewisse Schnappschuss-Ästhetik und stehen damit im Gegensatz zur Stieglitzschen Philosophie des perfekten Abzugs." (Quelle: Wikipedia

Arnold Newman (1918-2006)

US-Amerikanischer Portraitfotograf. Trotz der Möglichkeiten der Kleinbildkameras arbeitete Newman mit schweren Grossformatkameras. Seine Aufnahmen sind klar durchdacht und komponiert. Das Umfeld des Portraitierten rückt in den Vordergrund und bilden die wesentliche Aussage zum Bild. Newman gilt als einer der einflussreichsten Portraitfotografen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Thomas Ruff (1958-)

Deutscher Fotokünstler. Ruff schuf in den 80-er Jahren nüchterne Portraitfotografien von Freunden, die an (standardisierte) Passfotos erinnern, jedoch auf riesigen Formaten vergrössert wurden und trotz der hohen Detailschärfe sehr distanziert wirken. In späteren Fotografien verfremdet er pornografische Bilder u.a. mit dem Mittel der Unschärfe.

Nan Goldin (1953-)

US-amerikanische Fotokünstlerin. Goldin gewährt einen sehr persönlichen Einblick in ihr Leben. Themen sind Sex, Drogen und Gewalt aus ihrem persönlichen Umfeld, das sie in eine Art visuellem Tagebuch offen legt. Durch die Schnappschuss- Ästhetik und die intimen Einblicke wirken die Bilder schonungslos direkt. Sie erlangte hiermit in den 90-er Jahren grosse Popularität.

Weitere interessante hisorische und zeitgenössische Portraitfotografen und Künstler

  • Rudolf Dürhkoop (1848-1918)
  • Hugo Erfurth (1874-1948)
  • Gisèle Freund (1908-2000)
  • Henri Cartier-Bresson (1908-2004)
  • Irving Penn (1917-2009)
  • Lothar Wolleh (1939-1979)
  • Horst Tappe (1938-2005)
  • Albert Watson (1942)
  • Sophie Calle (1953)
  • Annie Leibovitz (1949)
  • Cindy Sherman (1954)
  • Martin Schoeller (1968)
  • etc.

Zu diesem Thema auch interessant:

  • Ausstellung "Family of Man" (NY MoMa 1951) zusammengestellt von Edward Steichen (1879-1973)

 Literatur und Quellen

  • Baatz, Willfried (2002): Schnellkurs - Geschichte der Fotografie.
  • Eschmann, Walter; Hahne, Robert; Tlusty Volker (2004): Kunst im Überblick. Kammerlohr. Seite 382.
  • Newhall, Beaumont (1989): Geschichte der Photographie.